QuMiK-Perinatalstudie – Untersuchung und Vergleich der Perinatalzentren im QuMiK-Klinikverbund

 In Medizinische Studien

Studienergebnisse:

In einer Publikation im Lancet 2013 wurden 39 Länder mit einem hohen Index der menschlichen Entwicklung (Wohlstandsindikator für Staaten) bezüglich ihrer Frühgeburtenrate verglichen. Dabei reicht die Spanne von 5,3 bis 14,7 Frühgeburten pro 100 lebend geborene Kinder. Deutschland nimmt hier mit 9,2 Frühgeburten pro 100 Lebendgeborenen Platz 33 ein und hat damit im internationalen Vergleich eine der höchsten Frühgeburtenraten. Im IQTIG-Qualitätsreport 2017 (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, www.iqtig.de) lag die Frühgeburtenrate in Deutschland bei 8,8 Prozent. Die Ursachen der Frühgeburtlichkeit sind multifaktoriell. Diabetes, Bluthochdruck, Rauchen oder Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sind nur einige, die mit einem erhöhten Frühgeburtsrisiko assoziiert sind. Reproduktionsmedizin führt zu einem höheren als natürlich vorkommenden Anteil an Mehrlingsschwangerschaften, die per se ein höheres Frühgeburtsrisiko haben. Neben diesen zum Teil selbstbestimmten Ursachen ist jedoch auch entscheidend, was im Falle einer drohenden Frühgeburt medizinisch unternommen wird, um eine Schwangerschaft möglichst lange zu halten. Was passiert vom Zeitpunkt der stationären Aufnahme in den Frauenkliniken? Wie effektiv sind die durchgeführten medizinischen Maßnahmen, um eine drohende Frühgeburt zu verhindern?

Diesen Fragen stellten sich sechs Perinatalzentren in Baden-Württemberg, die gemeinsam Mitglieder im QuMiK-Verbund sind. Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurden alle stationär in den Frauenkliniken aufgenommenen Schwangeren mit einer Schwangerschaftsdauer zwischen 22 + 0 und 31 + 6 Wochen erfasst (primäres Einschlusskriterium). Um aus den stationär aufgenommenen Schwangeren das Kollektiv mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt zwischen den sechs Perinatalzentren gegenüberstellen zu können, wurden sekundäre Einschlusskriterien definiert, die bekanntermaßen häufig mit Frühgeburtlichkeit assoziiert sind:

  1. Gesicherter Blasensprung und / oder
  2. Zervixlänge unter 25 mm und / oder
  3. Mehr als drei Wehen von je mindestens 30 Sekunden Dauer in 30 Minuten.

Sofern mindestens ein sekundäres Einschlusskriterium innerhalb der ersten 24 Stunden nach Aufnahme erfüllt war, wurde der weitere Schwangerschaftsverlauf bis zum Erreichen von 32 + 0 Schwangerschaftswochen dokumentiert. Die Studie ist in der Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie im Oktoberheft 2018 publiziert. Von insgesamt 2.972 erfassten Frauen erfüllten 1.325 mindestens ein sekundäres Einschlusskriterium. Zur Frühgeburt kam es bei 279 Schwangeren (21,1 Prozent). Dabei schwankte die Frühgeburtsrate zwischen 16,8 und 27,9 Prozent (Differenz: 11,1 Prozentpunkte) zwischen den Kliniken. Vergleicht man das Perinatalzentrum mit der niedrigsten Frühgeburtenrate mit den anderen, wiesen zwei Zentren ein doppelt so hohes Risiko für eine Frühgeburt vor 32 Wochen auf. Warum es in zwei der sechs Kliniken eine doppelt so hohe Frühgeburtenrate im Vergleich zu dem Zentrum mit der niedrigsten Frühgeburtenrate gab, kann diese Studie nicht beantworten. Sie zeigt jedoch auf, dass großes Potenzial besteht, durch eine optimierte und möglichst evidenzbasierte Vorgehensweise die Zahl der Frühgeborenen zu reduzieren. Innerhalb der sechs QuMiK-Kliniken sind die Ergebnisse der Studie Anlass, sich über verschiedene Therapiestrategien bei der Verhinderung einer Frühgeburt auszutauschen, um in einer gemeinsamen Diskussion zu einer konsentierten und optimierten Therapie zur Verhinderung einer Frühgeburt zu kommen.

Eine niedrigere Frühgeburtenrate wäre nicht zu rechtfertigen, wenn dadurch eine höhere Morbidität der Frühgeborenen resultieren würde. Um diesen Aspekt zu beleuchten, wurde auch das Outcome der Frühgeborenen untersucht. Von den 279 Entbundenen stimmten 197 (70,6 Prozent) der Erhebung des postnatalen Outcomes der Frühgeborenen zu. Mit Ausnahme eines Zentrums (PNZ 4) war eine niedrigere Frühgeburtenrate auch mit einer niedrigeren Morbidität der Frühgeborenen vergesellschaftet. Die Sterblichkeit der Frühgeborenen lag mit 4,5 Prozent im internationalen Vergleich mit ähnlichen Kollektiven (in sechs europäischen Ländern 8,0 bis 15,7 Prozent) führend niedrig.

Perinatalzentren im Kontext der G-BA-Beschlüsse:

Die Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR-RL), die erstmals vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) 2005 beschlossen wurde, definiert Maßnahmen mit dem Ziel, die Qualität bei der Versorgung zu verbessern. Im Jahr 2009 wurden neben umfangreichen strukturellen und personellen Vorgaben auch eine Mindestmenge an zu versorgenden Frühgeborenen mit einem Geburtsgewichts unter 1.250 Gramm von 14 pro Jahr festgelegt (Perinatalzentren Level 1), um eine Gelegenheitsversorgung auszuschließen. Bereits ein Jahr später wurde die Mindestmenge auf 30 erhöht. Nach Klagen mehrerer Kliniken gegen die Mindestmengenerhöhung wurde diese vom Bundessozialgericht abgelehnt mit der Begründung, dass die Studienlage nicht uneingeschränkt die Einschätzung rechtfertigt, dass die Güte der Versorgung Frühgeborener mit einer Erhöhung der Mindestmenge in relevanter Weise zusätzlich gefördert wird. Derzeit wird erneut über die Erhöhung der Mindestmenge beim G-BA diskutiert. Dabei sind es vor allem die Krankenkassen, die die Erhöhung politisch durchsetzen wollen.

Was ist die Zielsetzung und was sind die Auswirkungen einer erneut diskutierten Anhebung der Mindestmenge?

Eine immer wieder zitierte, zum Beispiel gegenüber Schweden und Finnland als Länder mit hohem Zentralisierungsgrad bei der neonatologischen Versorgung erhöhte Säuglingssterblichkeit in Deutschland sollte dabei kein Argument sein, denn die Überlebensrate von Frühgeborenen ist in Deutschland im internationalen Vergleich führend gut, wie auch in der QuMiK-Studie erneut bestätigt. Nur etwa 9 Prozent der Variabilität der Sterblichkeit von Frühgeborenen unter 1.500 Gramm erklärt sich über die Fallzahlen eines Perinatalzentrums, das heißt, viele andere Faktoren (zum Beispiel Strukturqualität) spielen eine Rolle. Da Frühgeborene eine deutlich höhere Sterblichkeit als Reifgeborene haben, resultiert aufgrund der hohen Frühgeburtenrate in Deutschland auch eine höhere Säuglingssterblichkeit. Zusammengefasst heißt das, dass Frühgeborene in Deutschland eine international führend gute Versorgung erhalten, aber es wird zu wenig getan, um Frühgeburt zu vermeiden. Das wäre der größte Hebel, um die Säuglingssterblichkeit in Deutschland zu reduzieren. Wieso wird anhand dieser Datenlage erneut das Instrument der Mindestmengenanhebung und damit einer weiteren Zentralisierung der perinatologischen Versorgung diskutiert? Sind es planwirtschaftliche Gründe mit dem Ziel der Kosteneinsparung unter dem Mantel der Qualitätssicherung, die vor allem die Kostenträger dazu bewegen, die Mindestmengenerhöhung voranzutreiben. Schätzungen zufolge würde beispielsweise eine Mindestmengenerhöhung auf 30 Frühgeborene unter 1.250 Gramm Geburtsgewicht pro Jahr dazu führen, dass von den 161 Perinatalzentren Level 1 in Deutschland 70 diese Vorgabe nicht mehr erfüllen. Wenn diese 70 Zentren nicht mehr versorgen dürfen, würde es in den übrig gebliebenen größeren Zentren zu enormen Engpässen kommen. Dabei gibt es schon jetzt Versorgungsengpässe aufgrund des Mangels an Pflegekräften. Vor zwei Jahren wurde vom G-BA eine weitere Verschärfung der personellen Vorgaben mit wünschenswerten, aber aktuell nicht realisierbaren Pflegeschlüsseln beschlossen. Danach muss unter anderem beispielsweise jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin je intensivtherapiepflichtigem Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm verfügbar sein. Eine weitere Zentralisierung würde das Problem des Mangels an Pflegekräften massiv verschärfen, da Pflegekräfte nicht automatisch der Zentralisierung nachfolgen. Nach der Strukturabfrage gemäß QFR-RL zum Erfassungsjahr 2017 des IQTIG konnten 91 Prozent der Perinatalzentren Level 1 in Deutschland die vom G-BA vorgesehenen Pflegeschlüssel für die Versorgung der Frühgeborenen nicht erfüllen. In vielen Perinatalzentren – vor allem in deutschen Großstädten, in denen oft Pflegekräfte aufgrund steigender Mietkosten nicht mehr ansässig bleiben können – müssen immer wieder Risikoschwangere abgewiesen oder Frühgeborene in andere Zentren verlegt und dabei zum Teil lange Transportwege zugemutet werden, da zu wenige Pflegekräfte in der Neonatologie zur Verfügung stehen. Bei einer weiteren Zentralisierung wären auch bauliche Erweiterungen in den verbleibenden Zentren notwendig, die zum Teil schwierig oder gar nicht in absehbarer Zeit umzusetzen sind. Die mittlerweile vom G-BA wie kein anderer Bereich überregulierte neonatologische Versorgung (insgesamt 121 Vorgaben für Level 1 Perinatalzentren) würde kollabieren. Circa zehnmal mehr Früh- und Reifgeborene mit einem Geburtsgewicht über 1.500 Gramm werden auf den neonatologischen Stationen der Perinatalzentren versorgt. Eine weitere Zentralisierung würde damit für ein weit größeres Patientenkollektiv eine schlechtere neonatologische Versorgung bei Notfällen oder kritischer Krankheit nach sich ziehen, dies besonders in strukturschwachen Regionen. Es ist berechtigterweise zu befürchten, dass dadurch die Versorgung aller Früh- und Reifgeborenen schlechter und nicht besser wird.

Es ist an der Zeit, den Fokus von Mindestmengen weg auf die pränatale Versorgungsqualität zu richten. Die Frühgeburtenrate sollte zu einem Qualitätsindikator eines Perinatalzentrums werden. Eine Reduktion der Frühgeburtenrate um nur 5 Prozent könnte die Zahl der Frühgeborenen unter 1.500 Gramm Geburtsgewicht in Deutschland um circa 2.400 pro Jahr (25 Prozent) reduzieren und damit auch zu einer Reduktion der Säuglingssterblichkeit und nebenbei auch der Kosten beitragen. Wünschenswerte Pflegepersonalschlüssel müssen sich an der Machbarkeit orientieren und Spielräume für Ausnahmesituationen offen halten.

Fazit:

Der G-BA sollte bei weiteren Entscheidungen hinsichtlich der QFR-Richtlinie den Fokus auf die Verhinderung von Frühgeburten richten und dies als Qualitätsindikator eines Perinatalzentrums einführen, denn Frühgeborene vermeiden ist besser als Frühgeborene behandeln. Eine weitere Erhöhung der Mindestmenge und damit Zentralisierung gefährdet die heute bereits international führend gute Versorgung sehr kleiner Frühgeborener und verschlechtert sie für einen weit größeren Teil an Früh- und Reifgeborenen mit einem Geburtsgewicht über 1.500 Gramm. Der bereits bestehende Pflegekräftemangel würde sich gerade in dann zwangsläufig größeren Zentren deutlich verschärfen. Transportrisiken bei Risikoschwangeren und Frühgeborenen bei der Suche nach einem Versorgungsplatz beziehungsweise Versorgungen jenseits der Kapazitätsgrenze wären die Folge.